6-Phasen-Modell der persönlichen Wissenserweiterung7 min Lesezeit

„Gscheiter bleiben“ ist das Credo: Das eigene Wissen im lebenslangen Lernen beständig und strukturiert erweitern. Das ist eine Herausforderung! Und verdient ein eigenes Modell.

Oft, wenn wir über persönliche und berufliche Ziele sprechen, fallen Sätze wie: Ich möchte mehr über X lernen, ich möchte mein X verbessern, ich möchte Expertise in X zeigen etc. In unserer Informations- und Wissensgesellschaft im ständigen Wandel sind das verständliche Ziele! Aber wie geht man das Lernen an, wie baut man es in den Alltag ein? Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, teile ich das Lernen in kleinere Schritte, in 6 Phasen, in denen ich gezielt an Stellschrauben drehen kann.

Persönliches Wissens- und Lernmanagement kommt nie in die Jahre: Wenn wir uns weiterbilden und lernen möchten, brauchen wir eine Form des Lernmanagements. Dass ein Lernprozess selten geplant, durchdacht und strukturiert passiert, liegt auf der Hand: Lernen ist höchst individuell! Dennoch lohnt es sich, einen Meta-Blick auf die eigene Planung und Organisation zu werfen, um das Lernen sanft in die gewünschte Richtung zu lenken.

Ich stelle hier mein Modell mit 6 Phasen vor, das helfen soll, Lernprozesse zu explizieren.

Das 6-Phasen-Modell

Ich teile die chronologischen Schritte meiner Wissensentwicklung in 6 Phasen:

  1. INSPIRATION ↓ — Eindrücke von fachfremden Erlebnissen, Kunst, Natur, Gesellschaft. Alles was zum Nachdenken anregt, zum Fühlen stimuliert, zum Notieren ermutigt. Der Blick über den Tellerrand ist der erste wichtige Schritt und passiert meist in sog. „Arbeitspausen“ fern vom Schreibtisch.
  2. INPUT ↓ — Genereller Input aus persönlichen Gesprächen und Medien (Bücher, Texte, Artikel, Interviews, Radiosendungen – aber auch der „Lärm“ in Social Media).
  3. INTAKE ↓ — Soll Neues nutzbar werden, muss es verarbeitet und aufgenommen, also aktiv bearbeitet werden.
  4. IMPROVE ↓ — Durch Recherche werden Fakten und Informationen gesammelt, aus denen sich neue Schlüsse und Bilder ergeben. Auch klassisches Themenlernen (z. B. durch Kurse) gehört hier dazu.
  5. IMPROVISE ↓ — Hier geht es um Aktion, um die Anwendung des Gelernten. Spätestens jetzt kommt die Öffentlichkeit ins Spiel. Mit dem Feedback auf die ersten Entwürfe werden in Reflexionsphasen Änderungen (auch im Bewusstsein) vorgenommen.
  6. IMPLEMENT ↓ — Dieser Schritt passiert auch unbewusst, hier wird Wissen und Handeln in den Alltag übernommen.

Mein 6-Phasen-Modell sehe ich als eine Weiterentwicklung in schwacher Anlehnung an das Seek-Sense-Share-Modell von Harold Jarche. 1

INSPIRATION — über den Tellerrand gucken

Ich hole mir das Feuer aus dem Leben. Je weiter vom Fach entfernt, desto besser. Inspiration ist wichtiger Teil jeder kreativen Arbeit und mein Begriff von Kreativität umfasst sehr weite Bereiche des Denkens. Ich hole mir Anregungen in Grafik und Design, Natur und den Tieren, anderen Berufen und Menschen, anderen Ländern und Kulturen und in der Literatur. Wichtiger Impulsgeber ist auch die Musik.

INPUT — Der Umgang mit dem Überfluss

Heute geht es bei der Aufnahme von Informationen vor allem darum, wichtige und relevante Inhalte zwischen viel „Lärm“ herauszufiltern und für die Aufnahme, die Verarbeitung in eigenes Wissen, vorzubereiten. Diese Fragen können dabei helfen:

  • Welche Quellen bevorzuge ich vor anderen?
  • Wie kann ich meinen Informationsfluss so adaptieren, dass ich wichtige Informationen „oben auf“ im Stapel erhalte? Welche Filtermöglichkeiten habe ich?
  • Welche persönliche Routine kann ich für meine Informationsaufnahme entwickeln?

Ich versuche mich tendenziell an folgenden Inputstrukturen zu orientieren:

  • Tageszeiten. Lesen beim Frühstück, Mails am Vormittag, Radio abends, Podcasts unterwegs, Links vor dem Abendessen, Literatur gegen Tagesende, Sonntagszeitung. Social-Media-Aktivitäten zeitlich begrenzen (morgens & abends) und Zeit für gezielte Informationsaufnahme blockieren.
  • Einstellungen. Filtermöglichkeiten in den Netzwerken nutzen (Gruppen erstellen, nicht relevante Feeds entfernen – auch „unfollow“), RSS-Feeds verwenden. Mut zur Lücke – aber auch: Mut zum Themenfernen.

INTAKE — Information weich kochen

Die Aufnahme von Information geht über überfliegendes Lesen („Scanning, Skimming“) hinaus und bedeutet aktives Lesen, Exzerpieren, in Verbindung bringen („Assoziieren“), Aufbereiten.

Inhalte können gut aufgenommen und gespeichert werden, wenn ein Wechsel des Formats und/oder des Mediums erfolgt. Etwa kann ein Zeitungsartikel auf einen Mikroartikel gekürzt werden, ein Blogartikel in einem Tweet angekündigt, ein Website-Tipp an einen Bekannten weitergeleitet. Die Formatveränderung erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt und unterstützt so das Behalten der Informationen.

Besonders gut gefällt mir die Methode „SQR3“, eine Lesetechnik aus den 40er Jahren. In dieser Lesetechnik geht es vor allem darum, schon vor dem Lesen eigene Fragen an den Text zu stellen, um einen fordernden, aktiven Part im Dialog mit dem Text anzustoßen. Ich finde diese Methode herausfordernd, doch sehr zielführend.

Die 5 Schritte der SQR3-Methode:

  1. Survey: Überblick über den Text verschaffen, scannen, Inhaltsverzeichnis, Einleitung, Zusammenfassung. Es geht um die Struktur und den Aufbau des Texts, Einordnen in einen Kontext (Quelle).
  2. Question: Konkrete Fragen an den Text stellen, ca. 3 Fragen notieren.
  3. Read: Der Text wird auf die eigenen Fragen hin gelesen, Wichtiges wird markiert.
  4. Recite: Den Text in Erinnerung rufen, in eigenen Worten formulieren und ev. stichwortartig notieren (Mind Map). Eine Ideenliste sammeln.
  5. Review: Die Notizen überprüfen, den Text zusammenfassen, die Antworten auf die eigenen Fragen kontrollieren.

IMPROVE — Aus Fakten und Informationen eine Meinung bilden

Um aus Artikeln, Gedankensplittern, Ideen und Inspirationen Vorteil zu ziehen, lohnt es sich, tiefer in Themengebiete einzutauchen: Recherche und Fakten sammeln. In der Recherche werden im Sinne einer thematischen Horizonterweiterung neue Informationen und Fakten angehäuft, aus denen in weiterer Folge nach dem Sichten eigene Zusammenfassungen erstellt und Schlüsse gezogen werden können. Am Ende steht idealerweise eine Meinung zum Thema, die fundierter ist als zuvor.

Konkret bedeutet dieser Schritt, dass ich von kurzen Notizen und Ideenlisten tief in das Thema eintauche und zu Themen weiter recherchiere. Ein exemplarisches Beispiel:

  1. Ich sammle meine Ideen und Linktipps bereits zu Themen geordnet in Listen im Projektmanagement-Tool Trello (aber leider oft auch als einfache Notizen, Lesezeichen oder im Textformat).
  2. Wenn ich einen besonderen äußeren Anstoß bekomme, nehme ich eine dieser Themenlisten und bearbeite sie: Ich sichte die Links, recherchiere im Netz und in Büchern, notiere mir Wichtiges, kopiere Zitate und Quellen, notiere Erfahrungen. Die Ergebnisse kommen alle in mein persönliches Wiki. Dort kann ich besser mit längeren Texten hantieren und auch keine Inhalte versehentlich löschen. Die Liste ist danach leer.
  3. Die Ergebnisse verarbeite ich weiter in ein anderes Format. Das kann ein Entwurf sein für einen Blogpost, aber auch Checklisten, Kurzübersichten oder Ähnliches. Je mehr ich produziere, während im bereits am Thema bin, desto mehr profitiere ich später davon.

Ziel ist also hier, vom Rezipieren sogleich ins Produzieren zu kommen.

Vom Rezipieren ins Produzieren kommen.

IMPROVISE — Ohne Souffleur auf die Bühne

Um vom Lernen ins Tun zu kommen, werden die ersten Schritte umgesetzt, das Gelernte in der echten Welt gleich angewendet. Da „Wissen“ ja nicht sofort „Handeln“ bedeutet, geht es hier zumindest einerseits um den Austausch mit anderen, die Veröffentlichung von Gedanken und der Auseinandersetzung mit dem Dialog, sowie einer grundsätzlichen Haltung, dass es nicht 100 %-iges Wissen braucht, um Entscheidungen treffen zu können.

Das Wissensmanagement bekommt hier Einfluss auf andere Lebensbereiche, die über das Lernen an sich hinausgehen. (Spätestens) in dieser Phase braucht es ein oder mehrere Gegenüber, braucht es Feedback und konstruktive Kritik.

IMPLEMENT — Reif und knackig

Das ist die Reifephase, hier übernehme ich Wissen, Erfahrungen und Expertise in meinen Arbeitsalltag und mein Handeln. Man sagt, es braucht 3 Monate, um eine Gewohnheit zu ändern. So braucht es auch unermüdliche Wiederholungen, um in einer Sache sattelfest zu werden.

In Bezug auf das Wissen bedeutet das, sich Expertise in einem Bereich durch wiederholendes Aufbereiten, Schreiben und Diskutieren anzueignen.

Nicht zuletzt bedeutet es eine Wiederkehr an den Anfang, hier schließt sich der Kreis.

Visualisierung des 6-Phasen-Modells

Ich habe für die Visualisierung des Modells das faszinierende Bild eines Zirkus gewählt, in dem ich ein neues Kunststück lernen soll. In diesem symbolischen Bild stehen die 6 Phasen für:

  1. Inspiration: ich sehe etwas Wunderbares in der Natur, es erinnert mich an eine Körperbewegung.
  2. Input: jemand zeigt mir ein neues Kunststück, führt es vor.
  3. Intake: ich versuche mir das Kunststück anzueignen, spiegle es, denke es in Varianten durch.
  4. Improve: ich übe das Kunststück hinter dem Zirkuszelt immer und immer wieder.
  5. Improvise: die erste Chance, das Kunststück in der Manege aufzuführen.
  6. Implement: das Kunststück in einer normalen Vorstellung.

Je nach Themenfeld können diese 6 Stufen einen Ansatzpunkt geben, auf welchem Wissenslevel ich mich befinde und was als nächstes zu tun ist.

Dieser Artikel ist eine inhaltliche Überarbeitung und Erweiterung eines Artikels von Jänner 2017. Danke an Michael Kainz für Input (!) zur zweiten Version.

  1. Im Framework von Harold Jarche entsprächen Input und Intake dem „Seek“, Improve und Improvise dem „Sense“, Implement dem „Share“. Inspiration würde ich „Seek“ und „Sense“ zuordnen.

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